ENDSTATION SEHNSUCHT
Premiere einer außergewöhnlichen Oper

Erzählt wird die Geschichte von Blanche Dubois, die ihre glücklich verheiratete Schwester Stella und deren Mann Stanley besucht. Stanleys proletarische, unverblümte Direktheit trifft auf Blanches überfeinerte, nervöse Affektiertheit, und es kommt zu Spannungen, die einen Keil in die Ehe Stellas treiben. Erst Schritt für Schritt zeigt sich, dass sich hinter Blanches biederer Maske einer Kleinstadtlehrerin eine ganz andere Wahrheit versteckt und das gescheiterte Leben einer zutiefst zerrütteten Frau zum Vorschein kommt, die die Wirklichkeit nicht mehr erträgt.

Seit 50 Jahren fester Bestandteil der Theaterspielpläne, hat der Komponist und Dirigent André Previn im Auftrag der Oper San Francisco Tennessee Williams‘ Klassiker der Moderne 1998 zu einer packenden, psychologischen Oper umgearbeitet. Die Tonsprache des im Kindesalter aus Berlin emigrierten Previn verarbeitet Jazz und Filmmusik, spielt auf Richard Strauss, Igor Strawinsky und auf die europäische Spätromantik an, verbindet dies mit modernen Klangeffekten, aufbrausenden Orchesterballungen und zarter Lyrik und schafft so eine zeitgenössische Musiktheaterform, die auch in Europa immer mehr auf offene Ohren stößt.
Das Landestheater zeigt damit eine der erfolgreichsten Opern der letzten 10 Jahre. Schließlich wurde das Werk seit seiner Uraufführung in San Francisco in den USA zwei Mal und nach seiner europäischen Erstaufführung in Straßburg in Europa drei Mal nachgespielt. Mit der Aufführung in Tokio ist die Eisenacher Aufführung somit bereits die achte Neuproduktion seit der Uraufführung.

Mit dem Regisseur Gabriel Diaz sprach Chefdramaturg Stefan Bausch

Gabriel Diaz, warum ist Ihrer Meinung nach ENDSTATION SEHNSUCHT seit 60 Jahren auf allen Spielplänen präsent?

Diaz: Das Stück hat einige Qualitäten, die es von anderen unterscheidet. Rein handwerklich hat Tennessee Williams ein Stück geschrieben, in dem nichts überflüssig ist. Alles ist konsequent und schlüssig. Jede Geste, jedes Wort hat Sinn und treibt die Handlung voran. Allein das schon sind seltene Qualitäten. Darüber hinaus lässt er zwei Personen aufeinander treffen, die aus zwei Welten stammen. Blanche kommt aus einem alten Großgrundbesitzergeschlecht, das über Reichtum verfügte, Bildung, gute Sitten, hohe Kultiviertheit, feine Umgangsformen etc. Stanley ist das Einwandererkind, das sich hocharbeitet, der stabile, kräftige Proletarier, der sich durchkämpft, sich nicht um Umgangsformen schert und ganz nach seinen Instinkten lebt. Blanche ist die untergehende Welt, Stanley die aufsteigende. Zwischen beiden gibt es keine Verständigung.

Also ein positiver und ein negativer Charakter?

Diaz: Dann wäre das Stück nach 10 Minuten langweilig. Nein, Williams verteilt auf beide soviel Eigenschaften – gute wie schlechte -, dass wir als Zuschauer die ganze Zeit nicht wissen, wem wir zustimmen sollen. Erst dadurch entsteht Spannung. Alle Gestalten sind so vielfältig gezeichnet, dass für mich «Reichtum» entsteht und man das Gefühl hat, dass es sich um «echte, wirkliche» Menschen handelt.

Das Stück zeigt nicht nur die angenehmen Seiten des Menschen.

Diaz: Erfreuliches und Unerfreuliches, so wie Menschen eben sind. Niemand ist böse oder ein schlechter Mensch, nur sieht jeder den anderen aus seinem Blickwinkel. Stanley sieht in Blanche nicht eine verzweifelte Frau, die nichts mehr im Leben hat und nach Liebe sucht, sondern eine Frau, die lügt, seine Ehe kaputt macht und sein Leben bedroht. Es gibt keine Schuldigen in diesem Stück, nur eine Tragödie, die unausweichlich geschieht. Wie eine antike griechische Tragödie, die in einer kleinen Wohnung im amerikanischen Süden vor sich geht.

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Sie haben auch viele Erfahrungen aus dem Schauspiel. Wie unterscheidet sich die Arbeit zwischen Oper und Schauspiel, insbesondere wenn man ein «komponiertes» Schauspiel macht?

Diaz: Diese Oper ist weitaus mehr Schauspiel als zum Beispiel eine Verdi- oder Mozartoper. Das Stück von Tennessee Williams wurde kaum verändert. Ich muss mit allen Darstellern wie mit Schauspielern arbeiten. Alles braucht eine Motivation, jeder muss zu jedem Zeitpunkt wissen, warum er was macht. Das sollte in einer klassischen Oper zwar auch so sein, aber hier ist es besonders wichtig. Der große Unterschied liegt – für jeden offensichtlich – in der Musik. Wenn ich ein Schauspiel mache, wird alles von den Schauspielern definiert: Wie lange eine Pause ist, wie schnell eine Reaktion kommt, ob man seinen Monolog unterbricht und so weiter. Der Rhythmus wird erst hergestellt. Bei einer Oper habe ich immer einen unsichtbaren Dritten im Raum, den Komponisten, der vorgibt, wie schnell oder wie langsam etwas ist. Ich muss mich also viel stärker disziplinieren und diesen Dritten akzeptieren. Er lässt mir nur zum Beispiel in einer Szene 20 Sekunden Zeit und darin muss ich meine Idee verarbeiten. Wenn das gelingt, verstärkt die Musik die Situation ungeheuer, und alle ihre Kraft kommt zur Wirkung.

Wie sieht das Bühnenbild aus?

Diaz: Nikolaus Porz, der Ausstatter der Produktion, hat Bühnenbild und Kostüme in den 50er Jahren angesiedelt. Der Bühnenraum ist eine Wohnung mit zwei Zimmern und das Ganze kann sich drehen. Während im Film eine Kamera von Raum zu Raum gehen kann, drehe ich den Raum zur jeweiligen Szene. So kann der Zuschauer auch «von Raum zu Raum gehen». Fast alles findet in diesen beiden Räumen statt. Wir haben uns bemüht, sehr detailgetreu zu sein. Man kann viel beobachten und entdecken.

Gabriel Diaz-zur Person
Er hat in Caracas studiert und am Nationaltheater eine Ausbildung zum Schauspieler und Regisseur gemacht. Danach arbeitet er mit dem Rajatabla Theater, dem bekanntesten Theater in Venezuela und gründete eine eigene Gruppe, das Onphalo Theater. Mit dieser Gruppe hat er 1997 beim Festival von Caracas mehrere Preise gewonnen, davon einen als bester Regisseur. 1997 und 1998 wurde er als bester Regisseur für den Preis „Marco Antonio Ettegui“ nominiert. Danach bekam ich einen Inszenierungsauftrag aus Deutschland und lernte Roberto Ciulli und sein Mülheimer «Theater an der Ruhr» kennen. Zuletzt hat er in Lübeck gearbeitet und ist seit 2004 als Regisseur am Landestheater Eisenach engagiert.

ENDSTATION SEHNSUCHT
Oper von André Previn nach Tennessee Williams
Premiere am Landestheater Eisenach am 18. März, 19.30 Uhr
Nächste Vorstellungen: Sonntag, 26. März 19.30 Uhr, Freitag, 31. März, 19.30 Uhr, Sonntag, 2. und 9. April, jeweils 15.00 Uhr, Freitag, 21. April, 19.30 Uhr
Zum letzten Mal: Donnerstag, 04. Mai 06, 19.30 Uhr

Musikalische Leitung: Tetsuro Ban
Inszenierung: Gabriel Díaz
Ausstattung: Nikolaus Porz

Mit Monika Dehler, Elke Hartmann, Krista Kujala, Sabina Martin, Sonja Müller;
Helmut Kleinen, Enrico Lee, Jürgen Orelly, François Soons, Ferenc von Szita

Karten für die Premiere am Samstag, 18.3. und die nächsten Vorstellungen am Sonntag, 26.3. und Freitag, 31.3., ebenfalls um 19.30 Uhr, gibt es noch an der Theaterkasse und im Besucherservice des Landestheaters in der Eisenacher Tourist-Information am Markt (Tel. 03691/256 -219 und -233).