Lange Gesichter beim ThSV Eisenach

Beim Halbzeitpfiff der Schiedsrichter Bernd und Reiner Methe hätte wohl jeder der 1800 Zuschauer, ob Anhänger des ThSV Eisenach oder des EHV Aue, auf einen Sieg der Wartburgstädter getippt. Die Gastgeber waren das dominante Team, ließen mit ihrer Dominanz erst gar keine Derbyatmosphäre aufkommen. Schwungvoller Angriffshansball gepaart mit neuer Abwehrstabilität war das Markenzeichen der Eisenacher in den ersten dreißig Minuten. Mit einem Zwischenspurt zog der ThSV Eisenach vom 6:5 (9.) auf 13:7 (17.) davon. Timo Meinl, der Ex-Eisenacher im Kasten des EHV Aue, räumte seinen Platz für Mareks Skabeikis. «Wir spielten konsequent in Abwehr und Angriff», so das Resümee von ThSV-Coach Adalstein Eyjolfsson. Kurz vor der Pausensirene zog der junge Adrian Wöhler selbstbewusst zum 18:13 ab. «Wir agierten in der Abwehr zu abwartend, zu inaktiv, wofür 18 Gegentreffer ein deutlicher Beleg waren», analysierte Maik Nowak, der Trainer des EHV Aue, und fand in der Halbzeitpause klare Worte. Seine Schützlinge hatten verstanden. «Im zweiten Abschnitt zeigten wir, aus welchem Holz wir geschnitten sind», freute sich der Leipziger in Diensten der Erzgebirger. «Wir fühlten uns wohl zu sicher», räumte sein Eisenacher Kollege Adalsteinn Eyjolfsson ein. Dessen Mannen schienen nach dem 20:15 (34.) durch den in der Offensive starken Adrian Wöhler regelrecht eingelullt. Die Gäste stoppten mit Engagement und dennoch überwiegend sauberer Abwehrarbeit die an Intensität abflauenden Angriffsbemühungen der Eisenacher, konnten auf den sich steigernden Mareks Skabeikis im Tor bauen. Technische Fehler der Hausherren kamen ihnen sehr gelegen. Der EHV Aue initiierte vornehmlich durch den die Regieposition begleitenden Eric Meinhardt variable Angriffszüge zu allen Kreispositionen. Die Eisenacher fanden kein Gegenmittel, kamen stets zu spät, vielfach auf Kosten von Siebenmetern und Zeitstrafen. Zbynek Vesely, der ehemalige Eisenacher, glänzte als Mister 100 Prozent vom Punkt (verwandelte sieben von sieben Strafwürfen). Der Routinier vernaschte zudem die linke Eisenacher Abwehrseite mehrfach, traf von Rechtsaußen im Doppelpack zum 21:21-Ausgleich (41.).

Der ThSV-Motor stotterte, der EHV schaltete einen Gang höher und bog auf die Überholspur
«Weg war die Aggressivität aus der ersten Halbzeit, weg war die Stabilität der Abwehr, dafür produzierten wir eine Vielzahl einfacher technischer Fehler», so Adalsteinn Eyjolfsson. Der zuletzt mit Glanzleistungen aufwartende ThSV-Torhüter Radek Musil bekam kaum eine Hand ans Leder, war bei Würfen aus dem Fernwurfbereich mehrfach in die falsche Ecke unterwegs. Der junge Stanislaw Gorobtschuk vermochte nicht in die Bresche zu springen, sodass die Gäste an diesem Tag durch Mareks Skabeikis ein Plus auf der Torhüterposition hatten. Alexander Koke vermochte als Spielgestalter dem Angriffsspiel seines Teams keinen zielstrebigen Zuschnitt zu verleihen. Zu selten wurden Ballstafetten zur Kreismitte ausgelöst, wo Benjamin Trautvetter viel rackerte. Und dennoch, mit Nick Heinemann auf Rechtsaußen und Pavel Prokopec auf der mittleren Aufbauposition, erhöhte der ThSV Eisenach die Schlagzahl. Alexander Schiffner (von Linksaußen), Nick Heinemann mit einem Wurf ins kurze Eck von Rechtsaußen und Pavel Prokopec mit verwandeltem Siebenmeter (nach Regelwidrigkeit an Trautvetter) brachten ihre Farben mit 26:23 (47.) in Führung. Die Uhren in der Werner-Aßmann-Halle schienen wieder richtig zu gehen. Doch weit gefehlt. Der EHV Aue, lautstark unterstützt durch seine mitgereisten Anhänger, setzte zum Schlussspurt an. Zwar staubte Eisenachs Nick Heinemann nochmals zum 27:25 (50.) ab, doch mit Leidenschaft und Power bogen die Erzgebirger auf die Überholspur, zumal der ThSV-Motor deutlich ins Stottern geriet. Tomas Sklenak wurde durch Aues kleinen Japaner Shinnosuke an die kurze Leine gelegt. Girts Lilienfelds war längst untergetaucht. Die kaum noch Schärfe atmenden Eisenacher Angriffsbemühungen endeten spätestens bei Aues Keeper Marek Skabeikis (Prokopec, Schiffner), verlor Daniel Luther durch einen technischen Fehler das Leder. «In dieser Phase wirkte Eisenach hilflos», so der Kommentar von Wolfgang Birth, dem Präsidenten des Thüringer Handballverbandes. Ganz anders der EHV Aue, der präzise kombinierte, die Schwächen der Eisenacher Abwehr aufdeckte, durch den zum Kreis eingelaufenen Tommi Sillanpää zum 27:27 (53.) und 27:28 (54.) einnetzte. Kurz zuvor war für Eisenachs Benjamin Trautvetter nach der dritten Zeitstrafe die Partie vorzeitig beendet. Per Schlagwurf netzte Arnar Agnarsson zum 27:29 ein (55.). Ein zur Halbzeit kaum für möglicher Spielverlauf wurde Realität. «Wir waren nicht in der Lage, die richtige Reaktion zu zeigen», haderte einen Tag später ThSV-Coach Adalsteinn Eyjolfsson, der während einer kurzen Talkrunde unmittelbar nach der Partie auf dem Parkett mögliche eigene Fehler eingestand. «Vielleicht hätte ich früher personell reagieren müssen», so der Isländer. Landsmann Jon Arnar Agnarsson gehörte mit sechs Treffern zu den Leistungsträgern im Team aus dem Erzgebirge, das sich in den Schlussminuten ganz clever nicht mehr die Butter vom Brot nehmen ließen. Nick Heinemann verwandelte vom Punkt für den ThSV Eisenach zum 28:29 (56.). Die Hoffnung im Eisenacher Lager währte nur kurz. Die Gäste marschierten mit Vehemenz in Richtung ThSV-Kasten. Die Referees Methe/Methe entschieden bei zwei keinesfalls unstrittigen Situationen auf Siebenmeter. Zbynek Vesely und Shinnosuke Uematsu versenkten zum 28:31 (59.).

Beim Abpfiff jubelte der EHV Aue, am Spieltag zuvor nach einer 27:32-Heimpleite gegen Tabellen-Schlusslicht Leichlinger TV noch scharf in der Kritik, mit seinem dennoch ins Thüringische gereistem Anhang. Ein Sieg im Traditionsderby, noch in der Halle des Gegners, schmeckt nun einmal besonders süß. «Ein Stück Wiedergutmachung», betonte Maik Nowak.
Misslungen das Vorhaben des ThSV Eisenach, sich mit einem vollen Erfolg im letzten Heimspiel der Saison vor großer Kulisse in die Sommerpause zu verabschieden, Appetit auf die so gewichtige Saison 10/11, dem Qualifikationsjahr für die eingleisige zweite Bundesliga, zu machen. Dieses Ziel haben beide Vereine, auch wenn Maik Nowak, der Coach des EHV Aue, mögliche Konsequenzen wie «große weiße Flecke auf der Handballkarte» und «kaum Spielmöglichkeiten für junge deutsche Spieler» bei der anstehenden Spielklassenveränderung kritisch herausstellte. Maik Nowak und Adalsteinn Eyjolfsson sehen diesen bevorstehenden Kampf um die Tickets für die eingleisige 2. Bundesliga als ganz große Herausforderung für den Verein, die jeweilige Stadt und die gesamte Region.

Abschied von Spielern und langjährigem Mannschaftsleiter
Der ThSV Eisenach verabschiedete nach dem Abpfiff den langjährigen Mannschaftsleiter Ralf Illert, die den Zweitligakader verlassenden Pavel Prokopec (wechselt zu Ligakonkurrent TUSEM Essen, wo bereits Maik Handschke, bis Mitte April Coach des ThSV Eisenach, als Trainer anheuerte) und Martin Hoffmann (neuer Verein noch unbekannt) sowie die ihre eigene leistungssportliche Kariere beendenden Christoph Jauernik (wechselt in den Trainerstab des ThSV Eisenach, übernimmt zugleich Organisationsarbeiten in der Geschäftsstelle) und Krisztian Szep-Kis, denen mit viel Beifall für ihr Engagement gedankt wurde.

Statistik
ThSV Eisenach: Musil, Gorobtschuk; Hoffmann (1), Trautvetter (3), Sklenak (5), A. Wöhler (6), Luther (1), Bitterlich, Schiffner (1), Lindner, Heinemann (4/1), Lilienfelds (5), Koke (2/2), Prokopec (2/1)

EHV Aue: Meinl, Skabeikis; Schäfer (1), Meinhardt (3), Roch, Rothenburger, Salzer, Agnarsson (6), Berthold, Vesely (11/7), Sillanpää (5), Uematsu (3/1), Wittig (3),

Zeitstrafen: Eisenach 7 x 2 Min., Rot für Trautvetter nach 3. ZS (54.); Aue 3 x 2 Min.
Siebenmeter: Eisenach 5/4; Aue 7/7